Niedersachsens Salzstöcke sind als Atommüll-Lager kaum geeignet – sind Salzlager etwa um Staßfurt, Bernburg und Roßleben die besseren Endlager?
Der Austritt radioaktiver Stoffe im niedersächsischen Atommüll-Forschungsberwerk Asse war und ist ein Skandal, der die Frage nach der geologischen Atomlager-Eignung von Salzstöcken generell neu aufwirft. Was sind die geologischen Besonderheiten der niedersächsischen Salzstöcke? Was sagen uns Erkenntnisse über Salzlösungszuflüsse und Langzeit-Korrosion? Sind mitteldeutsche Salzlager möglicherweise eine sinnvolle Alternative? Eine Studie der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit von 2007 behauptete das jedenfalls.
Noch einmal zur Erinnerung: Was geschah
Mindestens 80 Kubikmeter radioaktiv kontaminierte Salzlauge – mit zum Teil über dem Achtfachen der zulässigen Grenzwerte – sind kürzlich im niedersächsischen Forschungsbergwerk Asse II ausgetreten. Woher die Lauge stammt, ist ein Rätsel. Wie das Umweltministerium am 16.6.2008 bekanntgab, wusste das Landesbergamt schon seit 1997, dass radioaktiv belastete Lauge in die Deponie eindringt. In der Forschungs-Schachtanlage Asse, einem über 100 Jahre alten Salzbergwerk, ca. 15 km südlich von Braunschweig gelegen, wurden von 1965 bis 1995 Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für die Endlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle in Salzformationen durchgeführt. Eine Einlagerung von radioaktiven Abfällen fand seit 1979 hier jedoch nicht mehr statt.
Nach offiziellen Angaben trat in 750 Meter Tiefe an drei verschiedenen Stellen radioaktive Salzlauge aus. In diesem Bereich lagern große Mengen von Atommüll. Insgesamt wurden nach Angaben des Betreibers GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit 124.494 Gebinde mit einem Gesamtvolumen von rund 46.600 Kubikmeter (rund 88.000 Tonnen an schwachradioaktiven Abfällen) sowie 1.293 Gebinde mit einem Gesamtvolumen von rund 300 Kubikmeter und einer Gesamtmasse von rund 1.000 Tonnen an mittelradioaktiven Abfällen in die Schachtanlage eingelagert. Seit 2005 waren 77 Kubikmeter der belasteten Lauge abgepumpt und auf der 975-Meter-Sohle abgelagert worden. Woher das nachgewiesene Radionuklid Cäsium 137 stammt, ist noch immer unklar.
Das Helmholtz-Zentrum München räumte außerdem den Fund von Strontium, Radium und Plutonium ein.
Was macht die niedersächsischen Salzstöcke geologisch so bedenklich?
Das nördliche Harzvorland umfasst eine weitgedehnte Mulde, in der eine regelmäßige Schichtenfolge von Zechsteinsalzen, Buntsandstein, Muschelkalk, Keuper, Jura und Kreide auftritt. Im Zuge der Heraushebung des Harzes und durch den Druck dieser uralten Grundgebirgs-Scholle gegen ihr nördliches Widerlager „Flechtinger Höhenzug“ (Abb. s. u.) wurden die dazwischen liegenden Schichten verformt, verpresst und steilgestellt. So entstanden die salztektonischen Sättel des Zechsteins, aus denen wir u. a. unsere Kali-Salze gewinnen. Dieses sogenannte Zechstein-Salinar begann vor 100-200 Mio. Jahren unter dem zunehmenden Belastungsdruck des auflagernden Gebirges und bei erhöhten Temperaturen plastisch und fließfähig zu werden. Die 227 m hohe Asse, ein Höhenzug zwischen Wolfenbüttel und Schöppenstedt, ist wie der größere Elm südöstlich von Braunschweig durch das oben skizzierte Aufpressen von Salzablagerungen entstanden.
Treten also bruchtektonische Strukturformen innerhalb einer salinaren Schichtenfolge und ihrer vor- und nachgelagerten Schichten auf, so setzen Salzlösungszuflüsse ein. Diese Zuflüsse sind in Abhängigkeit von der jeweiligen tektonischen Situation und Schichtenfolge unterschiedlich groß. Unterirdische Auslaugung (Subrosion) tritt aber auch ohne Bruchstörungen auf, nämlich dann, wenn die salinare Schichtenfolge bis in die grundwasserführenden Schichten emporgehoben wurde. Wenn sich Bruchstörungen jedoch verschneiden oder Sattelzonen kreuzen, treten allerdings die größten Zuflussmengen auf.
Bei dem seit mehr als 150 Jahren betriebenen Abbau von Kali- und Steinsalz wurde dieser Zusammenhang immer wieder beobachtet. Ingenieurgeologisch als besonders problematisch werden im nördlichen Harzvorland einige Auslaugungsgebiete über den Salzsätteln eingestuft. Die Zechsteinschichten sind in den nordwest-südost-verlaufenden Sätteln mit steilen bis fast senkrechten Flanken aufgedrungen. Durch die oberflächliche Auflösung der Salze sind in den Sattelköpfen Auslaugungsgebiete mit sogenannten Gipshüten, kompletten Einsturzgebirgen und häufig auch Füllungen mit eiszeitlichen Schmelzwassersanden enstanden.i Hier reicht gelegentlich auch das über dem Salz liegende Gipsgestein („Gipshut“) bis an Oberflächennähe, und das darunterliegende Salz trifft man schon in 100–150 m Tiefe an. Der noch recht unerfahrene Kalibergbau des 19. Jhs. eröffnete dem Süßwasser vielfach Zugang zu den Grubenbauen, diesen „soffen“ in der Folge oft ab und leiteten eine intensive nachhaltige unterirdische Auslaugung und Erosion ein. Für den nördlich des Kartenbildes liegenden Endlager-Salzstock Gorleben schloss der angesehene Kieler Geowissenschaftler Prof. Dr. Klaus Duphorn aus seinen Geländebefunden bereits 1988, „dass im potentiellen Endlager-Störfall das Deckgebirge des Salzstocks Gorleben eine langfristige Schutzfunktion nicht erfüllen kann. Wenn Radionuklide aus dem Endlagersalzstock in das quartäre Deckgebirge gelangen, ist mit einer sehr raschen radioaktiven Gefährdung des Grund- und Oberflächenwassers zu rechnen.“
Sind die Salzstöcke im östlichen Deutschland möglicherweise eine Alternative?
Ziel eines besonderen Forschungs-Vorhabens der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) ii war es daher, aus der oben beschriebenen Tatsache nun endlich belastbare Kriterien für die Dichtheit von geologischen Barrieren für Produktionsgruben, Endlager, Untertage-Deponien und Versatzbergwerke zu finden. Erfasst und bewertet wurden in dem Forschungsprojekt 5.901 chemische und physikalische Analysen der Salzlösungszuflüsse im Salzbergbau Mitteldeutschlands. Die jeweiligen geologisch-hydrogeologischen Verhältnisse an den Zuflussstellen wurden ebenfalls untersucht. Der seit 2007 vorliegende Projektbericht kommt im Hinblick auf Standortcharakteristik und -auswahl von Endlagern in Salzformationen zu folgenden Schlüssen:
„Als besonders günstig für die spätere Nutzung von Salzbergwerken als Endlagerbergwerke werden folgende Faktoren angesehen:
- Bereiche von flacher bis flachwelliger Lagerung des Lagerstättenhorizontes, jedoch außerhalb von Sattelzonen, um Zerrungsbereiche zu meiden und außerhalb von Subrosionsbereichen (Gipshut).
- Keine Bruchstörungen und intensiv ausgebildete Großkluftzonen im Deckgebirge und im Salinar.
- Die Existenz von ausreichend mächtigen Barrieren gegen wasserführende Schichten im Hangenden und Liegenden.
Zur Bewertung von kritischen Spezialfällen sind folgende Erkenntnisse bedeutsam:
- Das Gefährdungspotential von Salzlösungszutritten in Kali- und Steinsalzgruben muss durch komplexe Gefährdungsanalysen mit ausreichender Sicherheit abschätzbar sein.
- Geochemische Untersuchungen sind wichtig, aber allein nicht ausreichend. Eine Verknüpfung mit geologisch-strukturellen Untersuchungen (komplexe Analyse) wird dringend empfohlen.
- Der Chemismus der Salzlösungszuflüsse korreliert mit den in den Grubenbauen anstehenden Salzgesteinen (lokale Beeinflussung) und wird zusätzlich, aber in geringerem Maße, von der regionalen geologischen Position der Salzgruben im Zechsteinbecken bestimmt (regionaler Einfluss).
- Die Schüttungsmengen der Salzlösungszuflüsse nehmen mit wachsender Entfernung der Bergwerke vom Ausgehenden am Randbereich der Sedimentbecken ab (Thüringer Becken, Werra-Fulda-Becken, Subherzynes Becken).
- Grundsätzlich sind Salzlösungszutritte auf Gebiete konzentriert, in denen die im post- und präsalinaren Gebirge allgegenwärtige, bereits bei der Diagenese der Sedimente erworbene primäre Zerklüftung durch weitere Bruchprozesse, vor allem durch Großklüfte, Kluftzonen, Störungen und deren Kombination, überprägt wurde.“
Nun enthält dieses Fazit keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse. Aber es entstammt einer ersten wissenschaftlich fundierten Datenaus- und -bewertung von immer wieder beobachteten und aufgezeichneten Zuflussproblemen, die die Zwischen- und Endlagereignung des niedersächsischen Zechsteinsalinars gerade vor dem Hintergrund der Vorfälle im Asse-Bergwerk erneut in Frage stellt. Als besonders vorteilhaft für die Einrichtung neuer Bergwerke werden Gebiete in Mitteldeutschland mit großen Mächtigkeiten des Staßfurtsteinsalzes von über 500 m ein, wie sie in den Räumen Staßfurt, Bernburg, Teutschenthal und Roßleben in jeweils bergmännisch beherrschbaren Tiefen („Teufen“) auftreten. Hier wurden bereits 149 Kavernen für Erdöl und Erdgas errichtet, 51 weitere sind im Bau befindlich.
Alte Gefahren, neue Standorte
In Anbetracht des Geschehens im Forschungsbergwerk Asse sowie der Endlager-Standorte Gorleben und Schacht Konrad bei Salzgitter stellen sich alte wie neue Fragen. Auch die Frage nach der qualitativen Beurteilung und quantitativen Überprüfung der Verpackungsgebinde gehört zu diesem (wieder) offenen Fragenkreis. Seit längerem nämlich werden vom Forschungszentrum Karlsruheiii Auslaug- und Korrosionsexperimente mit simulierten zementierten Abfallprodukten gemacht, die an Gebinden realer Größe über mehr als 20 Jahre in Salzlösungen bzw. in Wasser gewonnen wurden (pH-Werte, Dichten, Lösungszusammensetzungen, Freisetzung von den Radionukliden Cäsium, Uranium und Neptunium). Cäsium und Nitrat wurden dabei als Indikatoren für Zementkorrosion ausgewertet. Dabei wurde festgestellt, dass das Korrosionsverhalten und die Freisetzung von Cs und NO3 vom Porenvolumen des abgebundenen Zementproduktes und damit vom sog. „Wasser zu Zement Wert“ (W/Z) abhängt. Aber, welche Kriterien waren denn vorher maßgeblich? Welche Korrosionskriterien haben etwa Hochbau-Ingenieure aus vielen Jahrzehnten Erfahrungen im Staudammbau oder bei Brückenpfeilerkonstruktionen in allen Wässern der Erde geschöpft? Wurde dieses Wissen angewandt?
Nun handelt es sich bei Endlagerbergwerken weder um Erdöl- oder Erdgas-Kavernen, noch bei den einzulagernden Materialien um Hausmüll. Bereits seit den 50er Jahren ist nämlich bekannt, dass es prinzipiell keine unschädlichen Strahlenmengen gibt. Und: Sichere Toleranzwerte gibt es ebenfalls nicht. Jede radioaktive Strahlung erzeugt ihren Anteil an Krebs, Gen-Schädigungen mit zukünftigen Folgen und verkürzt die Lebenserwartung.
Das in der Asse ausgetretene Cäsium 137 fällt als Spaltprodukt immer in großen Mengen an. Es hat eine Halbwertzeit von 33 Jahren und eine große Strahlungskraft. Es ist eines der wenigen Radioelemente, die in alle Zellen eingebaut werden können. Das Zerfallsprodukt von dem ebenfalls ausgetretenen Strontium, das Yttrium-90, konzentriert sich dagegen in der Hirnanhangdrüse (Hypophyse). Da diese Drüse durch die Steuerung der Lipoidproduktion in Lungenzellen den Kollaps der Lunge kurz vor der Geburt eines Kindes verhindert, können schon leichte, durch Radioaktivität verursachte Schäden u. U. zu einer Lungenfunktionsstörung mit Todesfolge unmittelbar nach der Geburt führen.
Das festgestellte Plutonium ist ein 211.000 mal effektiverer Lungenkrebserzeuger als der sehr canzerogene Aromatische Kohlenwasserstoff Benzo(a)pyren, der u. a. bei unvollständiger Verbrennung anfällt (Achtung beim Grillen und beim Untergraben von Aschen im Gemüsegarten!). Plutonium ist bei einer für den Menschen angenommenen tödlichen Inhalationsdosis von einem Millionstel Gramm (1 μg) im Vergleich zu Arsen bis 300.000 mal, zu Zyankali bis zu 200.000 mal und zu Heroin bis zu 75.000 mal giftiger!iv
Es gibt aber auch ein altes alternatives Endlagerkonzept.v Hiernach ist vorgesehen, den in Glasblöcke eingeschmolzenen hochradioaktiven Atommüll in Tiefbohrungen in älteren Rotliegend-Salzmauern kontrolliert zu versenken. Nach der Befüllung werden die Bohrlöcher z. B. mit Beton versiegelt.
i Duphorn, K. (1988): Gorleben – Geologisches Gutachten zur Schacht- und Endlagerproblematik.- 141 S.; Univ. Kiel.
ii Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (Hrsg., 2007): Salzlösungszuflüsse im Salzbergbau Mitteldeutschlands.- GRS mbH und Büro Dr. Schwandt (Erfurt); GRS, 226.
iii Forschungszentrum Karlsruhe (Hrsg., 2004): Langzeit Auslaug- und Korrosionsexperimente an zementierten 1:1 Gebinden in der Schachtanlage Asse.- Inst. f. Nukleare Entsorgung, GSF –Forschungszentrum f. Umwelt u. Gesundheit, Forschungsbergwerk Asse; FZKA 7059.
iv Strohm, H. (19816): Friedlich in die Katastrophe. Eine Dokumentation über Atomkraftwerke.- Frankfurt a. M..
v Hofrichter, E. (1980): Probleme der Endlagerung radioaktiver Abfälle in Salzformationen.- Z. dtsch. Geol. Ges., 131: 409-430; Hannover.
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