Zivilisationsentwicklung und Landdegradation – Ein Blick auf Wendezeiten

Meine Überzeugung ist es, dass an einer bewussten Wahrnehmung der physischen Erscheinungen unserer Erde zeitgleich eine Sensibilisierung für das Geistige dahinter geübt werden kann. Das wird aber nur dann sinnvoll sein, wenn ein lebendiges Bild z. B. vom Boden oder von einer Landschaft sowie von Intention und Intensität menschlicher Handlungen entstünde und wir als Lehrer mit unseren Schülern gemeinsam im Unterricht aus dem Begreifen des Phänomens heraus und nicht am Modell begrifflich arbeiten würden. Denn Böden und Landschaften sind auch geographisch-historische Raum- und Zeitbrücken, weil sie dem interessierten Betrachter Wesentliches, zuvor zeitlich und räumlich mitunter weit Getrenntes (Geist und Tätigkeit in Vergangenheit und Gegenwart) zugleich und unverfälscht zeigen.

Man kann daher den Satz Christoph Lindenbergs, der auf die Notwendigkeit einer bewussten Hinwendung zu unserer technischen Kultur drang, nicht eindringlich genug zitieren: „Die innere Welt kann sich nur an der äußeren richtig ausbilden, sonst verliert sie (buchstäblich, d. Verf.) den Boden unter den Füßen und wird zu einer endlos mit sich selbst beschäftigten Subjektivität.“

 

Wendezeiten

Zwei große dramatisch verlaufene Veränderungen in der Geschichte der Menschheit sind für unser Verständnis des Themas äußerst wichtig: Es handelt sich um die neolithische (neusteinzeitliche) und die wissenschaftlich-industrielle Revolution.

Die vorgeschichtliche Zeit des Menschen, in der er nur begrenzt seine Umwelt nachteilig und nachhaltig veränderte, endete vor 12.000 bis 10.000 Jahren. Bis dahin galt die Natur als wohl schlimmster Feind seiner Umwelt. Nun begannen aber die ehemaligen Jäger und Sammler Wildgetreide wie Hirse, Gerste und Weizen geregelt anzubauen und zu kultivieren. Wildtiere wie Schafe, Schweine, Ziegen, Esel, Pferde, Rinder und Kamele wurden domestiziert. Parallel entwickelten sich erste dauerhafte Siedlungen. (Das zwischen 8.000 und 6.000 Jahren sich entwickelnde Jericho gilt als eine Vorstufe städtischer Hochkultur.) Während die Menschen zuvor als Sammler und Wildbeuter durch wechselnde Gruppengrößen und verändertes Wanderungsverhalten noch „elastisch“ auf wechselnde Nahrungs- und Rohstoffgegebenheiten reagieren konnten, änderten sich die Bedingungen mit Beginn der Sesshaftwerdung rapide. Diese erforderte ein besonders hohes Maß der Organisation auf allen Ebenen menschlicher Daseinsfunktionen (Wohnen, Arbeiten, Sich kleiden, Sich versorgen) sowie ihrer Beziehungen untereinander. Die in den Tälern des Nil, des Euphrat und Tigris, des Indus und Hwangho entstandenen bedeutenden Hochkulturen zeugen davon noch heute in vielfältiger Weise.

Die hierarchisch gegliederten, wachsend arbeitsteiligen Gemeinschaften hatten das Bedürfnis nach Ausdehnung ihrer Machtbereiche und damit einhergehenden zunehmenden Raumbedarf. Über Stadtstaaten entwickelten sich die ersten Weltreiche und erst mit ihnen und ihrem Ausdehnungsdrang begannen unsere heute bekannten Weltprobleme. Als hilfreich für ein vertrieftes Verständnis sei deshalb noch ein kurzer Rückblick auf die jüngere Geschichte gestattet. Es soll dafür die Wendezeit um die Mitte des 15. Jahrhunderts, die ja erst den modernen Materialismus, mithin die riesige Spannweite zwischen technischem Fortschritt und ethischem Rückschritt sichtbar werden ließ, etwas stärker ins Blickfeld genommen werden. Damals leitete der in spanischen Diensten stehende Genuese Cristoforo Colombo mit dem Erreichen einer karibischen Insel 1492 die Eroberungs-, Plünderungs- und Erforschungsgeschichte des amerikanischen Kontinents ein; aber ehe die Vorstöße in die Weite und Tiefe des Raumes erfolgten, hatten sich Bewusstsein und Wille dahin entwickelt, so etwas wie ein `irdisches Paradies aus eigener Kraft, Macht und Schlauheit zu schaffen. Gesteigert auf eine bis zur Besessenheit reichenden Begierde (curiositas et cupiditas) auf das Erfahr-, Mach-, Besitz- und Beherrschbare, waren diese Taten offenbar nur möglich, wenn man sich als Subjekt, als ego-starkes Individuum empfand.  Also muss der eigentliche Wendepunkt der Geschichte schon vorher, vor der Neudefinition der Grenzen der Welt durch Kolumbus und der damit verbundenen Umkehr der Bedingungen für Produktion, Wohlstand und Macht, vor dem Wirken eines Machiavelli, Erasmus von Rotterdam, Luther und Kopernikus erfolgt sein. Geht man den unterschiedlichen Definitionen dieses Wendepunktes durch die Historiker nach, so stößt man auf einen Namen im 17. Jahrhundert, auf Christoph Keller, der, auch bekannt als Cellarius, eines seiner Bücher mit Historia Nova betitelt hatte. Er erwähnt dort eine besonders interessante zeitliche Wendemarke, das Jahr 1453. In diesem Jahr nämlich eroberten die Türken Konstantinopel und bewirkten den Abzug der griechischen Gelehrten u. a. nach Italien, von wo aus sie ihre bis dahin in Europa wenig bekannte griechische Kultur von nun an verbreiteten. Der materielle Hauptstrom dieser Kultur ergoss sich mit Hilfe des in der Folge Gutenbergs zeitnah aufblühenden Druckerei- und Verleger-Gewerbes über ganz Europa und nahm den uns bekannten durch und durch materialistischen Charakter an.

Die Steigerung der Produktivität bei zunehmendem Energiebedarf, der daraus resultierende Bevölkerungszuwachs und die damit wiederum einhergehende Ressourcenausschöpfung führten zu den uns sattsam bedrängenden Umweltschäden und klimatischen Veränderungen.