Beruhte das Unglück von Nachterstedt auf falschen Fakten oder fahrlässiger Genehmigung?

Die im Juli 2013 vorgelegten Sachverständigen-Gutachten von Prof. Dr.-Ing. Rolf Katzenbach (TU Darmstadt) und Dr.-Ing. Michael Clostermann zur Unglücksursache scheinen nicht ausreichend.

Es hieß, die Siedlung aus den 1930er Jahren sei auf Kippböden errichtet. Nach der Kippbodenkarte des zuständigen Geologischen Landesamts in Halle war das damals zumindest nicht dokumentiert (s. Abb. 1 unten). Unterstützten bereits falsche Fakten die Entscheidung zu fluten oder handelte es sich um eine fahrlässige Beurteilung der Daten?

Aufgrund der im Text dargelegten Aufnahmen des Landesamtes für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt (Karten) stehen die unmittelbar nach dem Unglück aufgekommenen Fragen an die Verantwortlichen nach wie vor im Raum:

    • Wer erteilte seinerzeit aufgrund welcher Fakten die bergrechtliche Genehmigung zur Flutung des Restloches?
    • Wer verantwortete innerhalb der LMBV letztlich die Flutung?
    • Wurde die bekannte ingenieurgeologische Problematik der ausgewiesenen Kippböden und die schon ältere Besiedelung (seit den 1930er Jahren) vor dem Flutungsverfahren ausreichend gewürdigt?
    • Wie konnte man dabei von einer „undynamischenBelastung“ des Böschungssystems und normalen Strukturen des Grundwasserleiters ausgehen?
    • Wie wären die Kippböden aktuell nun wirklich abzugrenzen?

Setzungsfließrutschung nennen Geowissenschaftler das, was in der Nacht zum 18. Juli gegen 4:40 Uhr geschah und so schreckliche Folgen hatte. Durch Wassersättigung instabiler und locker gelagerter sandiger Boden- und Gesteinsmassen ausgelöst (s. u. Online-Kippbodenkarte des Landesamts für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt), sind Setzungsfließrutschungen die gefährlichste Rutschungsart an Kippenböschungen des ehemaligen Braunkohlebergbaus.

Abb. 1: Online-Kartenauszug Kippbodenkarte (Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt, 2009)

Wie die Karte Abb.1 zeigt, liegt der betroffene Siedlungsbereich nicht auf den ausgewiesenen Kippboden-Arealen, sondern deutlich weiter westlich entfernt.

Desweiteren hätten die Bohrlochdaten sämtlicher Abteufungen im betrachteten Gebiet interpretiert werden müssen. Geschah dies ausreichend?

Über ihre Lage fand sich ebenfalls ein Online-Verweis des Landesamtes im Internet:

Abb. 2: Online-Kartenauszug Landesbohrdatenbank (Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt, 2009)

Im Kartenausschnitt zur Lage der Bohrungen lässt sich recht gut erkennen, dass die Bohrungen/Aufschlüsse im Tiefenbereich 50-100 m weit überwiegend (rot; zwei direkt unter, zwei unmittelbar vor der Siedlung), aber auch Tiefenbereiche bis 20 m, bis 50 m und sogar tiefer als 100 m dokumentiert sind.

Als Basiswerk zur Beurteilung wäre weiterhin die Ingenieurgeologische Karte im Maßstab 1:5.000 mit dem Titel „Karte der ingenieurgeologischen Verhältnisse Staßfurt“ von 1969 sowie deren Erläuterungsband von 1970 zu nennen.

Weiters ist zu erwarten, dass die Lage der Grundwasserstockwerke bzw. sogenannte Grundwasserganglinien verzeichnet waren oder wurden. Diese hätten unbedingt mit herangezogen werden müssen.

Wenigstens auf diesen Grundlagen unter Einbeziehung der nahen Auflast der bewohnten Siedlung musste die Genehmigung der Flutung so oder so begründet worden sein.

Im heutigen Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt sind geologisch-bodenkundliche Forschungs-/Beratungs-Zuständigkeiten und bergrechliche Genehmigungsbehörde offenbar unter einem Dach vereint. Gab es mithin ein zu nahes Miteinander von beratender und entscheidender Verantwortung?

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Kippboden-Grenze 

Im Oktober 1998 wurde die Flutung des ehemaligen Tagebau-Restloches Nachterstedt eingeleitet. Verantwortlich für die geowissenschaftliche Grundlagenbereitstellung und –bewertung sowie auch das bergrechtliche Genehmigungsverfahren war das Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt (LAGB). Verantwortlich für die Flutung war die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV). Mit der Gründung der LMBV gingen 224 Restlöcher ehemaliger Tagebaue in der Lausitz und Mitteldeutschland in den Besitz des Unternehmens über. An diesen Restlöchern sind insgesamt über 1100 km Böschungen zu sanieren, wovon – hauptsächlich in der Lausitz – über 400 km Kippenböschungen rutschungsgefährdet waren oder, wie im Fall Nachterstedt, noch sind!

Als Schadensursache zieht der vereidigte Sachverständige Prof. Dr.-Ing. Katzenbacher im Auftrag der LMBV folgendes Fazit:

„Die Böschungsbewegung ist durch das Zusammentreffen

  • der nicht bekannten und daher auch nicht vorhersehbaren dynamischen Belastung des Böschungssystems durch ein dynamisches Initial (Phase a-b, rot in Bild 9) mit dem
  • ebenfalls unvorhersehbaren, hohen artesischen Wasserüberdruck (Bild 10), der eine Folge der anomalen lokalen Rinnenstruktur des Grundwasserleiters GWL 6.3 ist,

verursacht worden.“

Quelle: http://www.lmbv.de/index.php/ursachenbericht.html

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